Egal, wie groß das Bücherregal zum Thema Auswahlgespräche auch ist, spätestens nach einigen Seiten taucht ein Dogma immer wieder auf: Strukturierte Interviews sind besser als unstrukturierte, wenn es um eine gute Personalauswahl geht.
Allerdings ist das Verständnis dafür, was ein strukturiertes Interview ist, oft recht uneinheitlich. Die Meinungen darüber gehen teils stark auseinander. Daher wollen wir Ihnen in diesem Beitrag zeigen, was ein strukturiertes Interview eigentlich ist und worauf es dabei ankommt.
1. Woraus werden die Interviewfragen abgeleitet?
Strukturierte Interviews unterscheiden sich von unstrukturierten in der Art, wie das Interview eigentlich entsteht. Dies betrifft zum einen die Herleitung der Fragen und zum anderen die Verwendung bewährter Fragetypen.
Bei strukturierten Interviews sind die Fragen aus einer Anforderungsanalyse oder einem Kompetenzprofil abgeleitet, an denen sich der Interviewleitfaden orientiert. Dieser enthält dann ein Paket an Anforderungs- oder Kompetenzdimensionen, die durch verschiedene Fragen abgeprüft werden sollen (Lesen Sie auch: Recruiting Guide – Vom Stellenprofil zur passenden Auswahlmethode).
Der nächste Strukturaspekt bezieht sich auf die Frageformulierung. Während in unstrukturierten Interviews offene Frageformulierungen typisch sind, bedeutet die Verwendung von situativen oder verhaltensbeschreibenden Fragen einen strukturellen Mehrwert! Der Unterschied kann kurz an der Dimension “Teamfähigkeit” deutlich gemacht werden:
Ein offener Fragetypus wäre „Arbeiten Sie lieber im Team oder alleine?“ oder ganz direkt „Sind Sie teamfähig“? Ein verhaltensbeschreibende Frage kann die gleiche Dimension auch über folgende Fragestellung adressieren: „Bitte beschreiben Sie den größten Erfolg den Sie beruflich mit einem Team erreicht haben. Was haben Sie konkret zu diesem Erfolg beigetragen?“
2. Wie standardisiert ist Ihr Interviewprozesses?
Der zweite Punkt bezieht sich auf die Standardisierung des Interviews an sich. Je detaillierter dieses festgelegt ist (Interviewleitfaden), desto strukturierter ist ein Interview. Hierzu gibt es verschiedene Systeme. Eines der bekanntesten in Deutschland ist beispielsweise das Multimodale Interview (MMI) von Heinz Schuler, welches wie folgt aufgebaut ist:
- Informeller Gesprächsbeginn („Eisbrecher“)
- Selbstvorstellung des Bewerbers
- Freier Gesprächsteil bzw. Fragen zur Vita
- Frageblock zu Interessen, Berufs- und Unternehmenswahl
- Biographischer Frageblock
- Realistische Tätigkeitsvorschau
- Situativer Frageblock
- Gesprächsabschluss um offene Fragen, um weiteres Vorgehen zu klären
3. Standardisierte Auswertung und Entscheidungsfindung
Der dritte Strukturaspekt bezieht sich auf die Bewertung und Auswertung während des Interviews und danach. Ein komplett unstrukturiertes Vorgehen wäre es, sich nach dem Interview auf den Gesamteindruck oder das trügerische „Bauchgefühl” zu verlassen. Im Gegensatz dazu wäre ein vollständig strukturiertes Vorgehen, zu jeder Frage eine Bewertungsskala zu entwickeln, auf dem jeder Punktwert mit einem Antwortanker versehen wird und im Nachhinein anhand dieser Einschätzungen die Entscheidung getroffen wird.
Wieso denn überhaupt strukturieren?
Struktur ist kein Selbstzweck, sondern soll garantieren, dass Interviews stellenbezogen und zuverlässig sind (d.h. zu demselben Ergebnis kommen, egal wer der Interviewer ist). Struktur soll unerwünschten Verzerrungen entgegenwirken und damit das Interview so aussagekräftig und fair wie möglich machen.
Bei den genannten Punkten wird schnell klar, dass es in den wenigsten Fällen möglich oder erwünscht ist, alle strukturellen Aspekte zu erfüllen. Allerdings reichen oft schon einige kleine Bewegungen in die strukturierte Richtung, um die Aussagekraft eines Interviews erheblich zu steigern und damit die qualifizierten Bewerber von den unqualifizierten zu unterscheiden.
Literatur
Chapman, D. S., & Zweig, D. I. (2005). Developing a nomological network for interview structure: Antecedents and consequences of the structured selection interview. Personnel Psychology, 58(3), 673-702.
Campion, M. A., Palmer, D. K., & Campion, J. E. (1997). A review of structure in the selection interview (vol 50, pg 655, 1997). Personnel Psychology, 50(4), 926-926.