Das Bewerbungsgespräch erfüllt bekanntlich mehrere Ziele: Einerseits wollen die Interviewer einen fundierten und aussagekräftigen Eindruck der Bewerber bekommen. Andererseits wollen Sie aber auch Ihre Firma als attraktiven Arbeitgeber präsentieren. In zweiter Rolle sind Sie sozusagen Verkäufer in eigener Sache.
Letzteres kann allerdings auch nach hinten losgehen. Wenn Sie nämlich zu sehr Verkäufer sind. Dies konnte eine neue Studie im renommierten Journal of Management eindrucksvoll zeigen.
Interviews sind, wie Sie wissen, nicht nur für Bewerber eine herausfordernde Tätigkeit. Auch Recruiter stoßen hierbei oft an ihre Grenzen, müssen Sie doch einen möglichst akkuraten Eindruck ihrer Bewerber gewinnen, dazu aber auch ihr Unternehmen angemessen repräsentieren. Immerhin ist das Bewerbungsgespräch auch eine Visitenkarte im Kampf um die besten Köpfe, an dessen Ende auch die Bewerber entscheiden, ob sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben oder nicht.
Es besteht also per se ein Interessenkonflikt zwischen hartem Nachfragen und weichem Werben. Geht das eine zu Lasten des anderen? Eine neue Studie sagt ja.
Werben vs. Auf-den-Zahn-fühlen – Ein Interessenkonflikt mit Folgen!
Jennifer Marr von der Georgia Institution of Technology und Dan Cable von der London Business School gingen in drei unabhängigen Studien der Frage nach, welchen Einfluss die „Verkaufsorientierung“ von Recruitern auf die Vorhersagekraft eines Auswahlgespräches hat.
In einer ersten Studie wurde untersucht, ob es überhaupt einen Konflikt zwischen Beurteilen und “die Werbetrommel rühren” gibt. Immerhin läuft ein großer Teil der menschlichen Informationsverarbeitung unterhalb der Bewusstseinsschwelle ab. So wäre es nur logisch, wenn die Beurteilung „automatisch“, also intuitiv geschieht. Allerdings trifft dies nicht auf die akkurate Beurteilung eines Interviewpartners zu. Sobald die Probanden der Studie auf den Werbemodus schalteten, ließ die Genauigkeit der Urteile über den Bewerber nach.
Eigenwerbung und Assessment passen nicht zusammen
Allerdings hatte die erste Studie einen bedeutenden Haken: Sie fand unter kontrollierten Bedingungen statt. Bei solchen „Laborstudien“ rufen immer alle Skeptiker, dass im „richtigen Leben“ doch einiges anders läuft. Also gingen die Forscher ins Feld und konnten ihre Befunde gleich zweimal bei komplett unterschiedlichen Stichproben bestätigen. Interviewer, die eine starke „Verkaufsorientierung“ an den Tag legten, also Kandidaten für ihr Unternehmen begeistern wollten, waren in Ihrer Vorhersage der späteren beruflichen Leistung der Bewerber tendenziell schlechter als solche, die sich auf die eigentliche Beurteilung fokussierten.
3 Learnings für die Praxis
Nachdem drei Studien zu dem gleichen konsistenten Ergebnis kamen, geben die Autoren noch einige Tipps für die Praxis:
- Um den Nutzen eines Auswahlsystems zu maximieren, sind beide Aspekte wichtige: Bewerber anzuziehen und Bewerber akkurat zu bewerten.
- Um dies zu erreichen, wäre eine Möglichkeit, beide Prozesse formal zu trennen, entweder auf unterschiedlichen Prozessstufen oder aber durch unterschiedliche Personen (z.B. zwei Interviewer)
- Assessment und Eigenwerbung in verschiedene Teile eines Interviews zu packen sehen die Autoren relativ skeptisch. Der Grund: Es fällt den meisten Menschen schlicht ziemlich schwer, zwei Ziele gleichzeitig zu verfolgen
Zuletzt weisen die Autoren darauf hin, dass es generell sehr wichtig ist, als Arbeitgeber auf die eigene Reputation zu achten: Wer ohnehin als Top-Adresse gilt, kann sich im Auswahlprozess mehr auf die Eignungsdiagnostik fokussieren.
Wer allgemein ein mieses Image hat, muss gezwungenermaßen mehr Ressourcen darauf verwenden, die ausbleibenden Bewerber davon zu überzeugen, doch kein Sweatshop oder Bewerberschreck zu sein. Gute und faire Prozesse sind natürlich auch für die hoch gerankten Arbeitgeber ein Muss, um ihre Reputation zu halten.
Referenzen:
Marr, J. C., & Cable, D. M. (2014). Do Interviewers Sell Themselves Short? The Effects of Selling Orientation on Interviewers’ Judgments. Academy of Management Journal, 57(3), 624-651.