Internationales Recruiting ist heutzutage keine exotische Randerscheinung mehr. Für multinationale Unternehmen, die Auslandsgesellschaften in verschiedenen Ländern betreiben, ist es tägliches Brot. Doch auch für kleinere Unternehmen bietet besonders die große Anzahl ausländischer Studenten in Deutschland eine große Chance. Dennoch finden sich in der gängigen HR- Literatur kaum Inhalte, die über die Rekrutierung und Entsendung von Expatriates hinausgehen. Daher werden wir uns dem Thema „Internationales Recruiting“ nun in einer dreiteiligen Serie ausführlicher widmen. In einem ersten Teil werden unterschiedliche strategische Standpunkte im internationalen Recruiting beleuchtet.
Wie werden die Key-Positionen im Ausland strategisch besetzt?
Um die Management-Positionen außerhalb des Mutterlandes zu besetzten, können grob drei verschiedene internationale Recruiting- und Auswahlansätze unterschieden werden. Vor jeder Entscheidung für einen Auswahlansatz sollten verschiedene Faktoren in die Entscheidung einfließen. Diese umfassen z.B. Regularien und Prozesse im jeweils betrachteten Land sowie firmenspezifische Faktoren, wie die generelle Internationalisierungsstrategie oder Abhängigkeit vom Markt im betrachteten Ausland. Keines der Ansätze ist dem anderen überlegen, jedes hat seine Vor- und Nachteile. Oft können auch innerhalb eines Unternehmens verschiedene Auswahlansätze integriert werden, wenn das Personal in der ausländischen Finanzbuchhaltung z.B. nach anderen Prinzipien rekrutiert wird wie der ausländische Vertrieb.
- Der ethnozentrische Ansatz besetzt alle Management Funktionen mit Managern aus dem Mutterland der Organisation, quasi Expatriaten. Dieser Ansatz eignet sich besonders in Organisationen, in denen das Verlangen nach Kontrolle von oben und Zusammenarbeit überwiegt, wie z.B. in Unternehmen, die sich noch zu Beginn ihres Internationalisierungsprozesses befinden. Als Vorteil des ethnozentrischen Ansatzes für internationales Recruiting wird oft die leicht auszuübende Kontrolle genannt, als Nachteil der Mangel an Flexibilität gegenüber den Anforderungen des Gastlandes.
- Ein zweiter Ansatz ist der polyzentrische, in denen Manager aus dem Gastland rekrutiert werden, um spezifische Positionen zu besetzen, die jedoch an Manager im Headquarter zurück ins Mutterland berichten. Solch internationales Recruiting eignet sich besonders für Unternehmen bzw. Abteilungen, in denen spezifische Faktoren des Gastlandes sehr großen Einfluss auf das operative Geschäft des Unternehmens haben, z.B. im Vertrieb. Ein großer Vorteil dieser Strategie liegt in der besseren Kenntnis des Mutterlandes. Ebenfalls wird das große Commitment und Engagement der rekrutierten Gastland-Manager oft als Erfolgsfaktor verbucht. Weniger vorteilhaft wird zeitweise die daraus entstehende lokale Fokussierung gesehen, die das „größere Ganze“ des Unternehmens schneller aus dem Blick verliert.
- Ein dritter Ansatzpunkt für internationales Recruiting wird mit dem geozentrischen Ansatz bezeichnet, in dem die besten Leute für die Management-Positionen gesucht werden, unabhängig von der Nationalität des Rekrutierten. In diesem Ansatz werden nationale Unterschiede zwischen Gast- und Mutterland von der Idee her “weggewischt” und rein firmenspezifisch betrachtet. Ein solch internationales Recruiting eignet sich eher für Unternehmen, die schon eine sehr ausgereifte internationale Erfahrung und Struktur haben.
Viele dieser strategischen Überlegungen scheinen zunächst nur für große, global operierende Unternehmen der Fall zu sein. Ein Irrtum, denn jedes Unternehmen, welches mindestens eine Auslandsgesellschaft erhält, sollte sich überlegen: Schicken wir einen unserer deutschen Manager, um das ausländische Team strategisch aufzubauen oder suchen wir lokal einen Manager der neuen Auslandsgesellschaft? Was zunächst sicher im Tagesgeschäft und mit Blick auf die oft knappen Ressourcen entschieden wird, sollte hin und wieder überprüft und notfalls angepasst werden.
Wie werden Auswahlverfahren im internationalen Recruiting genutzt?
Entscheiden sich internationale Unternehmen schließlich, ihre Leute im Ausland zu rekrutieren oder aber gar der Auslandsgesellschaft die Rekrutierung gänzlich zu überlassen, sollte man sich über die teilweise verschiedene Nutzung von Personalauswahlverfahren im Klaren sein. Durch welche Verfahren kann ich meine ausländischen Bewerber schicken und durch welche nicht? Was ist sozial und kulturell angebracht, was eher nicht?
In einer Übersichtstudie kommen die Forscher Roe und van den Berg zu dem wenig überraschendem Schluss: Länder, die sich geographisch und kulturell ähnlich sind, setzen ähnliche Auswahlverfahren ein. Doch was heißt das genau? In den nördlichen Ländern Europas verlassen sich Recruiter mehr auf Biodata und weniger auf aufwendigere Testformate wie Assessment Center. Letztere dagegen sind am beliebtesten in England und den Niederlanden.
Deutschland liegt wohl irgendwo dazwischen – viele verlassen sich noch sehr auf Daten des Lebenslaufes, der Trend geht aber nachhaltig in eine Richtung, die Bewerber nicht mehr nur auf den Lebenslauf reduziert. Die Angst, gute Talente zu übersehen, indem schlicht auf Noten und Semesteranzahl geschaut wird, ist mittlerweile zu groß – haben große Konzerne wie die Deutsche Telekom AG doch gerade erst gezeigt, dass Sie 20% ihrer AC-Talente nur finden konnten , indem Sie die Vorauswahl qualitativ erweitern.
In südeuropäischen Ländern greifen Recruiter oft zu psychometrischen Tests und weniger zu Referenzen oder Lebenslaufdaten.
Was den Bereich E-Recruiting angeht gehört Deutschland nach einer Studie von 2012 noch zu den Ländern, die im Vergleich mit ihren europäischen Kollegen die positivsten Einstellungen gegenüber Online Testing haben. Als höchstscorendes Land fällt Deutschland in eine Gruppe mit Norwegen, Österreich, England und Belgien.
Wie entwickelt sich internationales Recruiting?
In ihrer Übersichtsarbeit von 2003 stellten Roe und van den Berg treffend fest: Recruiting in Europa ist konservativ. Neue Themen und Entwicklungen werden nur sehr langsam aufgenommen. Zu langsam. Denn in den letzten 10 Jahren ist in der Arbeitswelt so viel passiert wie die letzten 100 Jahre davor. Das Recruiting jedoch stagniert noch viel zu oft auf einem früheren Stand, ist angestaubt und muss sich schleunigst anpassen. Egal mit welcher Strategie letztendlich international expandiert wird: Prozesse und Methoden müssen innovativer werden! Vorreiter ist an dieser Stelle zeitweise der amerikanische Markt, der sich oftmals innovations- und experimentierfreudiger zeigt.
Weiterführende Literatur
Landy, F. J. & Conte, F.M. (2013). Work in the 21st Century: An Introduction to Industrial and Organizational Psychology. 4th Edition. Hoboken, NJ: Wiley.
Roe, R. & van der Berg, P. (2003). Selection in Europe: Context, Developments and Research Agenda. European Journal of Work and Organizational Psychology, 12(3).
In der nächsten Ausgabe der Serie „Internationales Recruiting“ werden uns Experten auf diesem Gebiet Einblick in Ihre persönlichen Erfahrungen geben.